Sonntagsausflug mit multipler Begleitung

19. April 2020
 
Handelnde Personen:
G = Gehirn
ISH = Innerer Schweinehund
HZI = Hypochondrisches Zweit-Ich
(Eine weitere Person taucht später auf.)
 
G: So, los geht’s! Wir gehen joggen.
ISH: Boah, neee! Warum?
G: Weil wir das letzte Mal vor vier Tagen gejoggt sind.
ISH: Ich erkenne da keinen, wirklich GAR keinen kausalen Zusammenhang.
G: Wir wollen heute 7 Kilometer schaffen.
ISH: (schnappt nach Luft)
HZI: Meinst Du so wie neulich, als Du Dir das schon mal vorgenommen hast und Du dann wegen eines nicht ordentlich geschnürten Schnürsenkels anhalten musstest und auf Pause gedrückt hast und DANN, als Du auf „Fortsetzen“ drücken wolltest, aus Versehen auf „Fertig“ gedrückt hast und damit ALLES gestoppt wurde?
ISH: Das war extrem lustig!
G: Sehr witzig! Außerdem sind wir trotzdem 7 Kilometer gelaufen.
ISH: Ja, aber erstens nicht am Stück und zweitens wurde es nicht als eine Einheit in der App gewertet.
SE: Deshalb machen wir es ja heute auch noch mal. Ohne Pause.
ISH: Wer bist Du denn?!?
HZI: Hab den auch noch nie gesehen.
SE: Ich bin der sportliche Ehrgeiz.
ISH: Der hat uns gerade noch gefehlt!
G: Super, dass Du jetzt dabei bist! Dann bin ich nicht der Einzige hier, der vernünftige Ansichten vertritt.
HZI: Wenn hier jemand vernünftige Ansichten hat, dann ja wohl ich!
G: Ich glaube, niemand ist weiter von der Vernunft entfernt als Du!
SE: Laufen wir jetzt endlich los?
G: Ja!
(900 Meter später)
HZI: Atemnot! Atemnot! Corona!! Wir … haben … Corona! Anhalten sag ich! Aaaaanhalten!
G: So’n Mumpitz! Die Lunge wird mit frischer Luft durchströmt, das hat nix mit Atemnot zu tun.
ISH (hechelnd): Doch … ich kann auch nicht mehr!
SE: Ihr Faulpelze!
(Alle schweigen eine Weile.)
SE: Wehe, da vorne kommt gleich ein Auto, wenn wir die Straße überqueren wollen.
ISH: Wieso, wäre doch voll gut, dann hätten wir eine Pause.
SE: Du hast das Konzept nicht begriffen.
ISH: Neulinge wie Du haben hier sowieso gar nichts zu melden! Merk Dir das!
SE: Alle Autos aus dem Weeeeeeg!
(Ein Traktor samt dahinterstehender Autoschlange fährt vorbei.)
SE: Wehe, die App wertet das nicht richtig, dass wir hier die ganze Zeit hin- und herlaufen!
G: Wir werden es sehen.
ISH: Ich kann nicht mehr!
HZI: Ich auch nicht! Heuschnupfen! Wir haben Heuschnupfen! Nase läuft! Augen tränen! Allergiiiiiiiiie!!!
G: Die Augen tränen tatsächlich, aber nur vom Wind. Stellt Euch nicht so an.
ISH: Wieviel haben wir schon?
G: Hm …. Hat die Frau schon den zweiten Kilometer angesagt?
ISH: Ich habe nichts gehört. Aber gefühlt sind wir schon bei MINDESTENS vier Kilometern.
(Die Frau – also die Stimme in der Running-App – gibt das Erreichen des zweiten Kilometers bekannt.)
ISH: Zwei Kilometer erst?? Das Ding muss kaputt sein.
G: Von der Zeit her kommt es aber hin.
ISH: Man fasst es nicht. Das kommt davon, dass wir hier noch nie langgelaufen sind! Das ist dann automatisch länger! Psychologisch zumindest. FATAL!!!
G: Ist doch total schön hier!
ISH: Hast Du Dir überhaupt gemerkt, wie wir gleich weiterkommen, wenn die Route, die Du in der Karten-App eingestellt hast, zu Ende ist?
G: Klar, habe ich. Ist ganz einfach.
HZI: Jo, na klar! Sagst ausgerechnet Du, die Du Dich neulich ungefähr 800 Meter von zu Hause verlaufen hast!
SE: Ein kleiner Umweg wäre übrigens keine Katastrophe.
ISH: Wir definieren „Katastrophe“ offensichtlich VOLLKOMMEN unterschiedlich.
HZI: Apropos Katastrophe: Da vorne kommt ein Spaziergänger. Mit Hund!! Ausweichen!!! Ausweichen!!! Corona-Alarm! Hundeattacke!! Hundeattacke!!
G: Du nervst.
HZI: Du noch viel mehr.
(Alle schweigen eine Weile.)
SE: Wir könnten versuchen, im Rhythmus der Musik zu laufen.
ISH: Dir ist klar, dass das ein 90er Song ist, der da gerade läuft? Mit entsprechenden beats per minute?
SE: Ja, ist mir klar.
ISH: Das ist doch viel zu schnell.
G (singt): „Running through the loveparade.“
ISH: Mir tut alles weh.
G: Mir nicht. Dabei liegt das Schmerzzentrum in meinem Verantwortungsbereich.
ISH: Du bist benebelt. Der blöde Neuling hat Dich benebelt.
G: Wir haben gleich schon die Hälfte!
ISH: „Schon“??? „Schon“? Ich glaube, ich bin hier im Irrenhaus! Sowas schimpft sich “Gehirn”. Pfff!
HZI: Da! Blase am rechten Fuß! Eindeutig! Anhalten! Aaaaaanhalten! Taxi rufen! Ehemann anrufen! Abholen lassen!
SE: Da ist nichts.
HZI: Sowas kann ganz schnell zu einer Blutvergiftung werden. Oh Gott, mir ist schon ganz schwindelig! Schwiiiiindelig!!
G: Da vorne kommt ein Abschnitt mit Schatten. Das wird helfen.
HZI: Gegen eine Blutvergiftung??
G: Gegen die Hitze.
HZI: Wenn alles Blut in den Kopf geht, so wie bei Dir Tomaten-Birne gerade, ist mit SICHERHEIT nicht genug für die anderen Organe da. Nierenversagen! Was, wenn unsere Nieren JETZT GLEICH versagen?
SE: Wow, hätte nicht gedacht, dass das hier so anstrengend ist.
ISH: Ha! Siehste! Gehirn, hast Du das gehört?
SE: Ich meinte nicht das Joggen, sondern Euch!
ISH und HZI im Chor: Unverschämtheit!
(ISH und HZI schweigen beleidigt. Die Frau sagt durch, dass die aktuelle Geschwindigkeit 6:59 Minuten pro Kilometer beträgt.)
SE: Scheiße! Wir müssen an Tempo zulegen!
(ISH und HZI geben ein irres Lachen von sich.)
G: Hauptsache, wir schaffen die 7 Kilometer. Zeit ist nicht so wichtig.
(Ein weiterer Kilometer vergeht. Die Frau sagt eine Geschwindigkeit von 7:00 Minuten pro Kilometer durch.)
G: Also gut. Noch ein Kilometer. Wir versuchen, unter 7:00 Minuten zu kommen.
SE: Jawoll!
(600 Meter weiter.)
SE: Super, gleich haben wir’s!
G: Juhu!
HZI: War klar, dass die sich gut verstehen.
ISH: Ich kann nicht mehr. Da hilft auch nicht, dass Tom Jones mir ins Ohr flüstert, dass ich eine Sexbombe bin.
HZI: Ich glaube, das hat er zu mir gesagt.
ISH: Das bezweifele ich.
G: Nur noch ein kleiner Umweg, dann sind wir gleich da!
HZI: Es ist hoffentlich was zu trinken da, wo wir hinlaufen?
G: Du weißt doch, dass wir auf der Baustelle noch keinen Wasseranschluss haben. Wir müssen also hoffen, dass noch irgendwo Mineralwasser rumsteht.
HZI: Soll das heißen, Du WEISST nicht, ob Wasser da ist?
G: Nein. Weiß ich nicht.
HZI: Was weißt Du eigentlich?
SE: Endspurt!!!
ISH (keuchend): Falle … gleich … um …
SE: Wir müssen unter 7 Minuten bleiben!
G: Wir gucken in der App.
(Die App zeigt knapp unter 7 Minuten an.)
SE: Loooooos!
G: Geschafft! 6:48 pro Kilometer! Top!
ISH: Ich bin tot.
HZI: Hitzschlag! Atemnot! Corona! Blutvergiftung! Schwindel!
G: Wir gehen jetzt gemütlich bis zur Baustelle und setzen uns da ein bisschen in den Schatten.
ISH: Und dann??
G: Gehen wir zurück.
ISH: Wie bitte? Wieso fahren wir nicht?
G: Weil der Ehemann noch da bleibt und sein Auto braucht.
(Nach einer kleinen Pause geht es im Spazierschritt weiter.)
SE: Irgendwie ist es doch langweilig, nur zu gehen. Wollen wir nicht den Rest einfach laufen?
ISH: Ich befürchte, das ist ernst gemeint.
HZI: Ich auch.
G: Okay – geht ja auch schneller.
SE: Eben!
(Zwei Kilometer vergehen.)
SE: Wenn wir einen klitzekleinen Umweg laufen, haben wir drei Kilometer und damit in Summe zehn. Das wäre doch mal was!
ISH: Aber … aber …
G (unterbricht): Ist gebongt!
SE: Wir sind nur knapp über 7 Minuten Geschwindigkeit! Das können wir noch unterbieten!
G: Na gut.
(ISH und HZI verfallen in Schockstarre.)
SE: GESCHAFFT! Unter sieben Minuten! Und insgesamt zehn Kilometer!
ISH: Du, Gehirn?
G: Was denn?
ISH: Du musst schleunigst ausrechnen, wieviel Gulasch, Schokolade und Chips wir uns jetzt angesichts der verbrauchten Kalorien leisten können.
 
Das war mein heutiger Lauf 😊! Wenn man bedenkt, dass ich vor gut drei Monaten, als ich angefangen habe, alle sechshundert Meter mit dem ISH verhandeln musste, dass wir ein paar Hundert Meter gehen, bin ich schon ganz schön weit gekommen!
 
Eure Lilli 💕