1. April 2020
Eines meiner absoluten Lieblingsbücher aus Kindertagen ist „Ich hasse Alison Ashley“ von Robin Klein. Es handelt von Erica, die in
schwierigen Verhältnissen in einem schwierigen Viertel mit einer entsprechend schwierigen Schule aufwächst und eines Tages mit einer unerwarteten Herausforderung konfrontiert wird,
nämlich dem kompletten Gegenteil ihrer Selbst: einer neuen Schulkameradin namens Alison, die mit ihrem wohlhabenden Elternhaus, ihrem gepflegten, hübschen Äußeren und ihrer ordentlichen,
modernen Kleidung so perfekt ist, dass es kracht. Und deshalb hasst Erica sie vom ersten Tag an.
Ein Satz, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, stammt aus dem Kapitel rund um den ersten Schultag von Alison an Ericas
Schule. Die perfekte Alison wird von ihrer natürlich ebenso perfekten Mutter mit dem natürlich ebenso perfekten Auto abgeholt. Und dann heißt es: „Alison stieg schnell in ihre goldene
Kutsche ein, so als könnte sie es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen und in eine Wanne voll Desinfektionsmittel einzutauchen.“
An diesen Satz wurde ich heute erinnert, als ich mich nach fast einem Monat mal wieder an den Ort begab, der in heutigen Zeiten
den Nervenkitzel eines Geisterbahnbesuchs locker übertrifft, und in dem jede Bewegung, jeder Schritt, jeder Griff, ja, wirklich jede winzigste Entscheidung dem Weiterdrehen der
Pistolentrommel beim russischen Roulette gleicht, allerdings mit dem Unterschied, dass man erst Tage später erfährt, ob die Kugel einen getroffen hat.
Ich war nämlich im Supermarkt.
Es war tatsächlich das erste Mal, dass ich dort war, seit die Corona-Krise diese seltsamen Auswüchse entwickelt hat, die unter
anderem bewirken, dass man nur noch mit Einkaufswagen einkaufen darf. Was die Covid-19-Roulettekugel gleich um mindestens zwei Fächer weiterrutschen lässt, denn: Der Einkaufswagen hat
diesen virenversuchten Griff!!!
Mein hypochondrisches Zweit-Ich, das bereits beim Einbiegen auf den Supermarktparkplatz gefragt hatte, ob ich noch ganz bei Trost
sei, gab jede Menge panisch-spitzer Schreie von sich und einigte sich mit meinem inneren Schweinehund, dem ich eine Runde Jogging für abends angekündigt hatte, dass ich nun vollkommen
durchgedreht wäre.
Den wenigen mir entgegenkommenden anderen Einkäufern wich ich in geschicktem Slalom aus, und mein hypochondrisches Zweit-Ich
schickte jedem einen sehr bösen Blick rüber, der es wagte, sich uns auf mehr als zwei Meter zu nähern.
Ich stellte fest, dass WIRKLICH ALLE Leute JEDEN Tag MEHL kaufen, siehe Foto. Es ist unglaublich!
Da ich natürlich nicht mehr wusste, was alles in der WhatsApp-Einkaufsliste stand, holte ich mein Handy heraus – was somit
ebenfalls von der Einkaufswagen-Griff-Virenverseuchung betroffen sein dürfte.
Genau wie alles andere, was ich im Folgenden anfasste. Z.B. mein Portemonnaie.
Mein hypochondrisches Zweit-Ich überlegte fieberhaft, ob unsere Desinfektionsmittel-Vorräte ausreichten, um die Badewanne so weit
zu füllen, dass neben mir auch sämtliche Einkäufe, mein Portemonnaie und mein Handy hineinpassten.
Immerhin hielten sich an den wenigen geöffneten Kassen alle an den vorgegebenen Mindestabstand.
Was allerdings das Pärchen vor mir mit seiner Strategie „jeweils eine Hand hat einen Plastikhandschuh an“ beabsichtigte, erschloss
sich weder mir noch meinem hypochondrischen Zweit-Ich. Denn auch an den Handschuhen bleiben ja Viren kleben, und die überträgt man dann auf alles, was man anfasst.
„SELBST-VER-STÄND-LICH!“, dozierte mein hypochondrisches Zweit-Ich.
Im Auto angekommen beruhigte ich es, indem ich zumindest meine Hände mit einem Schwung Desinfektionsmittel versorgte. Dann
versuchte ich, die vorhin aufgekommene Allianz zwischen ihm und meinem inneren Schweinehund zu vereiteln, indem ich meinem hypochondrischen Zweit-Ich erklärte, dass Joggen absolut
hilfreich bei der Abwehr der im Supermarkt möglicherweise aufgenommenen Viren sein würde, so von wegen frische Luft und körperliche Bewegung und so.
Während mein innerer Schweinehund ein schnippisches „Pff, so’n Mumpitz!“ schnaubte und eine beleidigte Grimasse zog, begann mein
hypochondrisches Zweit-Ich alle zwei Sekunden Sachen wie „Halskratzen!! Wir haben eindeutig Halskratzen!!“, „Wieso ist uns so warm? Das ist Fieber!!! Wir haben Fieber!!!“ oder „Nicht an
der Stirn kratzen!! Die Viren!!! Die VIREN!!! Bloß nicht an der Stirn kratzen!!!“ zu kreischen.
Zu Hause angekommen schleppte ich die Einkäufe hinein und gönnte dem hypochondrischen Zweit-Ich, meinem inneren Schweinehund und
mir jeweils zwei Stücke Schokolade.
Wir fanden alle drei, das hätten wir uns verdient.
Bleibt alle gesund!!! 🍀🍀🍀