Psychologie an der Supermarktkasse

10.02.2019

 

Als Kind war ich absolut fasziniert von Supermarktkassen. Ich wollte unbedingt Supermarkt-Kassiererin werden, beklebte allerlei Gegenstände zu Hause mit selbstgemalten Preisschildern und kassierte dann äußerst professionell an meiner Rechenmaschine mit Zetteldrucker (Google sagt, das heißt „Tischrechner“, siehe Foto). Dieses Gerät hatte ich meinen Großeltern abgeluchst, und das Allerbeste daran war natürlich das Geräusch, das der Rechner beim Drucken des Kassenbons machte. Genau wie die richtige Kasse im Supermarkt.
Ich verbrachte Stunden mit diesem Teil und perfektionierte die Geschwindigkeit, mit der ich die Preise in die Tasten haute.

Letzten Endes bin ich dann doch nicht Supermarktkassiererin geworden. Und mittlerweile eher genervt, wenn ich mich nach Feierabend mit knurrendem Magen einreihen muss in die Schlange an der Supermarktkasse, die zu allem Übel beim Drucken des Kassenbons auch nicht mehr dieses herrliche Geräusch verursacht.
Ich vertreibe mir die Zeit in der Schlange heutzutage meistens damit, mir über die Leute, die vor mir in der Schlange stehen, Geschichten auszudenken. Oder auch – höchst wissenschaftlich natürlich! – aus ihrem Aussehen und ihren Einkäufen abzuleiten, was für Menschen es wohl sind und was sie vorhaben.

Gestern zum Beispiel stand ich hinter einem Typen mit Lederklamotten, der Unmengen an Putzmitteln auf das Kassenband legte, und zwar ausschließlich welche von der krassen Sorte, Chemie pur. Des Weiteren kaufte er drei Großpackungen Fertigpudding.
Eindeutige Interpretation meinerseits: Der Gute hat ein Date bei sich zu Hause, muss noch ordentlich Kalk im Bad entfernen und will sein Herzblatt anschließend mit „selbstgemachtem“ Pudding verführen.

Was ich auch gern mache: Anhand der verfügbaren Informationen (Rückenansicht, Kleidung, Frisur, Einkäufe) die Attraktivität männlicher Schlangen-Warter prognostizieren. Neulich stand ich ein paar Meter hinter einem Typen, den ich sowohl von seiner Kleidung als auch von seiner Haltung her als äußerst vielversprechend beurteilte. Endlich war er dran und drehte sich zur Kassiererin um. Er war tatsächlich ziemlich attraktiv. Aber dann strich er sich mit der Hand sowas von affig durch die Haare, dass er sofort unumkehrbar im Minusbereich meiner offiziellen Attraktivitätsskala landete. Prognosequalität mangelhaft.

Sehr bizarre Erlebnisse hatte ich in letzter Zeit mit jungen Kassiererinnen im Schüleralter. Die eine sagte angesichts einer Banane, die ich als einziges auf das Kassenband gelegt hatte: „Und dafür stellen Sie sich an?“
Ich war so perplex, dass mir keine gescheite Antwort einfiel, obwohl es so viele gegeben hätte.
Zum Beispiel: „Ach, ich wusste gar nicht, dass man ohne zu bezahlen durchgehen darf, wenn man nur ein Teil haben will. Danke für den Tipp!“
Oder auch: „Ich habe einen scheißlangen Arbeitstag hinter mir, will einfach nur nach Hause, muss aber noch zum Arzt und bin so hungrig und unterzuckert, dass ich das ganze Quengelwarenregal innerhalb von fünf Minuten leeresse, wenn Sie nicht SOFORT meine Banane abkassieren!!!“
Das zweite bizarre Erlebnis ereilte mich in einer Tankstelle, die gleichzeitig Hermes-Shop ist. Ich gab dort ein Paket ab, das 4,79 Euro Porto kosten sollte. Ich zählte mein Kleingeld und kam auf exakt 4,74 Euro, also fünf Cent zu wenig.
„Fünf Cent zu wenig“, seufzte ich und drückte der jungen Dame stattdessen einen Fünf-Euro-Schein in die Hand.
„Wie ärgerlich“, merkte sie an und gab mir das Wechselgeld, also 21 Cent zurück. „Soll ich Ihnen das jetzt in einen Fünfer tauschen?“
Ich blickte sie prüfend an, ob sie das ernst meinte.
Mädel, wenn mir vorher 5 Cent zu 4,79 Euro fehlen und du mir dann die Differenz von 5 Euro und 4,79 Euro zurückgibst zurückgibst, fehlen mir logischerweise immer noch 5 Cent!!! 4,74 + 0,21 = 4,95!
Auch hier war ich so perplex, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Schließlich lehnte ich das Angebot freundlich ab – schließlich wollte ich keine Kassendifferenz verursachen – und zog kopfschüttelnd von dannen.
In Kombination mit der Bananen-Aktion beschloss ich, mich offiziell über „die Jugend von heute“ aufregen zu dürfen, zumal ich jetzt in einem Alter bin, wo ich das straflos tun darf.

Ich überlege ernsthaft, den alten Tischrechner meiner Großeltern rauszusuchen und Kassierer-Nachhilfekurse für Schüler zu geben.
Finde ich echt ne sehr gute Idee.
Anmeldungen werden ab sofort entgegengenommen.

Einen schönen Sonntag wünscht Euch

Eure Lilli