Die Krusch(t)-Kiste

16. Juli 2020
Ich glaube, jeder hat mindestens eine: die Kruscht-Kiste. (An dieser Stelle sei bemerkt, dass ich mehrere JAHRZEHNTE im Glauben lebte, es heiße „Krusch“; in Wirklichkeit heißt es aber „Kruscht“, mit „t“ am Ende – was ich im Bemühen, meinem Ehemann zu beweisen, dass das Wort „Krusch“ sehr wohl existiert, über eine Duden-Recherche herausfand.)
Eine Kruscht-Kiste zeichnet sich dadurch aus, dass sie jede Menge unterschiedlichen, meist kleinformatigen Krams enthält, den man nur äußerst selten braucht; ein weiteres Merkmal einer Kruscht-Kiste ist, dass man schon beim Gedanken daran, den darin enthaltenen Kram auszusortieren, in bleierne Müdigkeit verfällt. Weil es halt so unfassbar nervig ist.
Im Zuge unseres Umzugs gab es nicht nur diverse Kruscht-Kisten, sondern ganze Kruscht-KARTONS, die jeweils MEHRERE Kruscht-Kisten enthielten. Es waren diese Kartons, um die ich mich mehrere Wochen lang geschickt herumdrückte wie eine Katze, die auf der Fensterbank einem Blumentopf ausweicht, und die Tatsache, dass sie MEHRERE Kruscht-Kisten enthielten, multiplizierte die bleierne Müdigkeit angesichts der Vorstellung, sie aus- und aufzuräumen.
Letztes Wochenende war es nun so weit: Ich schnappte mir die ALLERschlimmste ALLER Kruscht-Kisten, die schon mehrere Umzüge unbearbeitet (im Sinne von nicht beachtet und aussortiert) überstanden hat, stellte sie vor mich auf den Schreibtisch und öffnete sie.
Ich hatte nur eine ungefähre Vorstellung vom Inhalt, denn da einer der ca. acht enthaltenen Klebestifte vor vier Jahren ausgelaufen war und somit etwa drei Viertel des enthaltenen Kruschts mega-eklig-klebrig waren, griff ich nur noch äußerst selten hinein – meist auf der Suche nach einem funktionierenden Kulli oder Tintenrollerstift, womit ich aber IMMER scheiterte. Die Kruscht-Kiste brachte GRUNDSÄTZLICH nur NICHT-schreibende Kullis und Tintenrollerstifte hervor.
In gruseliger Erinnerung an die mega-eklig-klebrige Verunreinigung des Kruscht-Kisten-Inhalts bewaffnete ich mich mit einer Flasche Nagellackentferner, jeder Menge Wattepads sowie einem großen Block und holte zunächst alle Kullis und Tintenrollstifte heraus, um sie einem sehr seriösen Funktionstest zu unterziehen und anschließend auf den Stapel A (Müll) bzw. Stapel B (funktioniert noch) zu legen – letzteres natürlich erst NACHDEM ich sie mit dem Nagellackentferner gereinigt hatte. Während ich zu Beginn bei dem einen oder anderen Kulli oder Tintenrollerstift noch überlegte, ob ich ihn mit einer neuen Miene ausstatten sollte, um ihn weiter nutzen können, beschloss ich nach einer Weile, einen radikalen Schnitt zu machen und nur noch ohne Mienen-Investition funktionierende Stifte zu behalten. Jawohl! Nur so schafft man wirklich Ordnung. Ha! Ich würde sowieso immer wieder vergessen, neue Mienen zu besorgen, und wenn, würde ich sowieso die falschen erwischen, also weg damit.
Nach Kullis und Tintenrollern waren die Blei- und Buntstifte dran. Dabei stellte ich fest, dass die Lackierung dieser Spezies meinem Nagellackentferner nicht gewachsen ist, wodurch nicht nur jede Menge Wattepads, sondern auch meine Finger äußerst bunt gestaltet wurden.
Das Schöne am Aussortieren einer Kruscht-Kiste ist, dass man immer mal wieder etwas findet, was man früher als Kind total toll fand. So fand ich zum Beispiel einen Stempel (als Kind war ich VERRÜCKT nach Stempeln) und sogar ein Stempelkissen, welches unfassbarerweise sogar noch nicht eingetrocknet war und Farbe abgab, sodass ich erstmal eine ganze Seite meines Blocks vollstempelte.
Ein weiteres kurioses Fundstück war die auf dem dritten Foto abgebildete Packung Wunderkerzen, deren Preisschild einen Preis von 0,50 DM (ja, Deutsche Mark!!!!) ausweist. Ich nahm mir fest vor, dieses Wunderwerk beim nächsten Silvester – höchstwahrscheinlich eingemummt in feuerfeste Schutzkleidung, denn nach so langer Zeit weiß man ja nicht! – zu verwenden.
Bei vielen Dingen – ausländischen Münzen, irgendwelchen Holzperlen, Murmeln – wusste ich nicht, wo ich diese unterbringen sollte, und packte sie kurzerhand in ein Glas, das auf meinem Schreibtisch stand. Ha! Aufgeräumt! Verstaut! Ich fand es angesichts meiner wahnsinnig diszipliniert-motivierten Kruscht-Kisten-Aufräumaktion vollkommen okay, ein winzigkleines Kruscht-Glas anzulegen.
Nach einigen Stunden war ich fertig und sortierte in vollkommener Zufriedenheit die etwa 50 Stifte vom Stapel B in die oberste Schublade meines neuen Schreibtischs ein, gefolgt von acht Radiergummis, vier Anspitzern, zehn Post-It-Blöcken, zwölf Tesafilm-Ersatzrollen und 102 Büroklammern.
Ich freute mich unbändig darauf, von jetzt an JEDERZEIT beim ERSTEN Griff in eine NICHT KLEBENDE Schreibtischschublade einen FUNKTIONIERENDEN Stift zu erwischen, und zog immer wieder die Schublade heraus, um glückselig lächelnd und völlig begeistert auf die dort herrschende Ordnung zu blicken.
Abends, als ich wieder einmal glückselig lächelnd und völlig begeistert auf die in der Schublade herrschende Ordnung blickte, entdeckte ich plötzlich zwei Tintenrollerstifte, die ich am Vormittag ganz sicher aussortiert hatte, weil sie nicht funktionierten. Seltsam. Ich hatte doch äußerst diszipliniert alle aussortiert, die nicht funktionierten.
Die Lösung dieses Mysteriums: Mein Mann fand die Stifte „so schön“, und man könnte doch „einfach neue Mienen kaufen“. Ach ja. Seufz.
Übrigens: Mein Kruscht-Glas quillt über. Hat irgendwer noch eine leere Kiste???