28.08.2018
Meine Großeltern mütterlicherseits waren absolut spitze. Meine Oma (Omi) kochte die besten „Spätzle vom Blech“ der Welt (in gebratenen Zwiebeln und Butter geschwenkt & mit Käse überbacken),
konnte Canasta und spielte stundenlang dieses Mal-Spiel mit uns, wo man oben auf dem Papier einen Kopf zeichnet, das Blatt dann so umknickt, dass nur der Halsansatz zu sehen ist und das Papier
anschließend weitergibt an den Nächsten, der den Oberkörper zeichnet. Ihr wisst bestimmt, was ich meine.
Mein Opa (Papo) liebte uns Enkel über alles, außerdem Bratkartoffeln und klassische Musik aller Art. Jedes Mal, wenn meine Schwester und ich uns nach dem Mittag hinter seinem Bett versteckt hatten und ihn erschreckten, sobald er sich zum Mittagsschlaf hingelegt hatte, tat er so, als hätte er nicht gewusst, dass wir da waren. Allein dafür habe ich ihn heiß und innig geliebt.
Ein weiteres Highlight von Besuchen bei meinen Großeltern war die FunkUhr. Nein, keine Funk-Uhr, sondern die FunkUhr, eine Fernsehzeitschrift. Da waren neben dem Fernsehprogramm alle möglichen Rätsel, Ratgeberartikel und andere schöne Sachen drin.
Eines Tages schmökerte ich in der neuesten Ausgabe und stieß auf einen Artikel, der Unterschiede zwischen großen und kleinen Menschen behandelte. Das interessierte mich natürlich, da ich schon immer alle Mädchen und die meisten Jungs in meiner Klasse überragt hatte – obwohl ich immer die Jüngste war –, und unaufhaltsam auf einsachtzig zusteuerte.
In dem Artikel wurde unter anderem die Behauptung aufgestellt, große Menschen verbräuchten mehr Strom und Wasser als kleinere Menschen. Ja, Ihr habt richtig gelesen! Absolut unglaublich!!! KLAR, ich DUSCHE ja auch so viel LÄNGER als ein einssechzig großer Mensch!! Und gucke auch VIEL MEHR FERNSEHEN, sodass ich mehr Strom verbrauche, und mein Trockner läuft auch doppelt so lange, um meine Handtücher zu trocknen!!!!
Diese unfassbare und durch absolut nichts belegbare Unverschämtheit brachte mich so auf die Palme, dass ich sogleich ins Büro meiner Eltern lief, mich an den Computer setzte und die Argumentation des Artikels nach allen Regeln der Kunst auseinandernahm. Ich ließ kein gutes Haar an dem Schreiberling, der diesen Unfug verzapft hatte, beschwerte mich hochoffiziell über diese unsägliche Diskriminierung großer Menschen und wies selbstverständlich darauf hin, insbesondere als treue Leserin der FunkUhr wahnsinnig enttäuscht zu sein.
Natürlich war ich gespannt, ob die FunkUhr-Redaktion reagieren würde.
Und tatsächlich: Ein paar Wochen später erhielt ich ein Paket mit einem Entschuldigungsschreiben und einem Knoff-Hoff-Buch (kennt noch irgendwer Knoff-Hoff??) als Geschenk. Selten würden sie solche wohlüberlegten, klugen Leserbriefe erhalten, und ich hätte sicher recht – man könne dieses Thema sicher auch anders sehen.
NEIN, kann man natürlich NICHT, aber egal. Ich war zufrieden, dass die FunkUhr ihren Fehler eingestanden hatte, und das Knoff-Hoff-Buch war auch ganz nett.
Groß zu sein ist schön. Man braucht keine Absätze, um sich größer zu machen. Man findet verlorengegangene Freunde auf Partys viel leichter, weil achtzig bis neunzig Prozent der anderen Leute kleiner sind als man selbst. Im Ausland wird man für eine Schwedin gehalten, weil die anscheinend besonders groß sind. Man hat Vorteile bei diversen Sportarten und kommt viel leichter an Sachen dran, die irgendwo oben auf dem Regal liegen.
Groß zu sein hat aber neben der Tatsache, dass bescheuerte FunkUhr-Redakteure einen straffrei diskriminieren dürfen, noch jede Menge weiterer Nachteile. Eine der schmerzhaftesten und zugleich traumatischsten Erfahrungen, die ich in diesem Zusammenhang machen musste, war der Mortadella-Skandal.
Vermutlich fast jeder von Euch kennt es: Viele Fleischerei-Verkäuferinnen reichen Kindern, die mit ihren Eltern dort einkaufen, eine Scheibe Mortadella über die Ladentheke. Ich LIEBE Mortadella, vor allem, wenn sie schön kalt ist! Es gibt – außer Salami – kaum etwas Leckereres, das man einfach so wegnaschen kann. Ich freute mich jedes Mal wie ein Schneekönig, wenn wir nach dem Besuch beim Bäcker in die Fleischerei nebenan rübergingen und die Verkäuferin eine Scheibe Mortadella auf die Gabel spießte.
Und dann passierte es: Eines Tages hörte das mit dem Mortadellascheibe-über-die-Theke-reichen auf. Ich bekam keine Mortadella mehr. Und NATÜRLICH kam das daher, dass die Verkäuferinnen dachten, ich sei schon viel älter, weil ich HALT SCHON SO GROSS WAR!!!
Es war absolut tragisch. Kaum zu ertragen. Fürchterlich. Wahrhaft traumatisch.
Neben der viel zu früh zu einem Ende gekommenen Mortadella-Verköstigung weist meine Körpergröße folgende weitere Nachteile auf.
Ich finde keine Kleidung. Ehrlich, ich kann nicht in einen normalen Laden geben und einfach so eine Hose anprobieren. Ich mache es immer wieder, aber es bringt nichts. Es fehlt unten halt ein Stück. IMMER! Und da ich als Kind im Zusammenhang mit sehr plötzlich auftretenden Wachstumsschüben immer wieder „Hochwasserhosen“ trug, kommt es für mich absolut nicht infrage, irgendetwas anzuziehen, was auch nur ansatzweise als zu kurz angesehen werden könnte.
Ähnlich ist es natürlich mit Ärmeln. Auch meine Arme sind zu lang! Deshalb kaufe ich eigentlich nur noch in einem Spezialgeschäft für große Frauen. Außer T-Shirts, die kaufe ich ab und zu auch in normalen Geschäften. Aber aufgepasst! Häufig sind diese nach mehreren Wäschen so kurz, dass man unfreiwillig bauchfrei durch die Gegend läuft. Auch wenn diese Mode gerade erschreckenderweise wieder aktuell wird, werde ich garantiert nicht so herumlaufen.
Wenn man sich – so wie ich – stockkonservativ einen Mann wünscht, der größer ist als man selbst, schränkt eine gewisse Körpergröße natürlich die Auswahl sehr stark ein. Umso glücklicher bin ich, dass ich einen Mann von einsneunzig erwischt habe – perfekt 😊!!! Denn ich finde, „frau“ muss ich unbedingt anlehnen können.
So, ich muss noch schnell einkaufen. Vielleicht kaufe ich in einem Anfall von Nostalgie einfach mal ne FunkUhr. Und einen Riesenstapel Mortadella.
Eure Lilli 💕
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