„Klischees im Alltagstest“ oder „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“

Eine amüsant-verrückte, wahre Reisegeschichte von Lilli

So, Ihr Lieben, ich bin ich mal wieder auf Reisen.

Ich finde, es gibt kaum etwas Inspirierenderes als Reisen. Den Großteil meiner Ideen für meine Romane habe ich auf Reisen gesammelt und/oder geschrieben – so entstanden 40% meines ersten Romans innerhalb eines zweiwöchigen Italien-Urlaubs, wo ich so absolut vertieft und entsprechend wenig ansprechbar war, dass mein Liebster vermutlich das eine oder andere Mal überlegt hat, ob er den zu Beginn des Urlaubs ausgesprochenen Heiratsantrag nicht doch wieder rückgängig machen sollte.

Samstag bin ich zu einer Familienfeier in Bayern gereist und von dort über München weiter nach Teneriffa. Die Erlebnisse auf dieser Reise waren so herrlich, dass ich ein paar davon hier mit Euch teilen möchte. (Für Carla kann ich insbesondere den zweiten Teil mit der Autovermietung definitiv nicht verwenden, weil ich dann Mails bekäme, wie unrealistisch das doch wäre. Dabei war es ORIGINAL so.)

Samstagmorgen, 6.15h. Immer noch völlig entsetzt darüber, dass ich an meinem ersten Urlaubstag noch früher aufstehen musste als an jedem Arbeitstag, schlurfe ich müde mit Koffer, Handgepäck und Handtasche bewaffnet durch die Haupthalle des Oldenburger Bahnhofs Richtung Bäcker, um mich mit irgendwas Leckerem zu versorgen.
Und da begegnet mir auch schon das erste formvollendete Klischee des Tages: Die 50plus-Reisegruppe! In langjährigen, ausführlichen Analysen habe ich die folgenden Arten innerhalb dieser Spezies ausgemacht, die fast zwangsweise in jeder dieser Formationen auftauchen.
a) Der Organisator
Er hat die ganze Reise geplant und organisiert und ist sich der Wichtigkeit seiner Aufgabe sehr bewusst. Er ist derjenige, der darauf besteht, sich mindestens 50 Minuten vor Abfahrt zu treffen, und wie ein Schäferhund die Reisegruppe permanent umkreist, während er mantramäßig die immer gleichen Informationen wiederholt, z.B. „6.50 ist Abfahrt. Von Gleis 3. Nur, dass Ihr Bescheid wisst.“ „In Hannover haben wir nur vierzehn Minuten zum Umsteigen.“ „Wir haben zwei Vierer und die beiden Zweier dahinter.“
Bei Betreten des Waggons trompetet er üblicherweise die Nummern der reservierten Plätze laut in die Gegend, woraufhin mindestens acht Mal nachgefragt wird und es ungefähr eine Viertelstunde dauert, bis wirklich alle ihre Sitzplätze gefunden und eingenommen haben. Schlimmer als auf jedem Schulausflug!!
b) Der Querulant
Hierunter verstehen wir ein Mitglied der Reisegruppe, das neidisch auf die Führungsrolle des Organisators ist und ihn deshalb in der Ausübung seiner Aufgabe möglichst nervtötend torpediert. Indem er z.B. nicht zuhört, wenn der Organisator Ansagen macht (und die macht er ja alle 30 Sekunden), dazwischenruft oder sich einfach woanders hinsetzt als vom Organisator angeordnet. Woraufhin dieser abwägen muss, ob er diesen Angriff auf seine Autorität stillschweigend hinnimmt oder ihm eins auf den Deckel gibt, womit er allerdings die Stimmung versauen würde, weshalb er sich auf Augenrollen und leichtes Kopfschütteln beschränkt.
c) Die Lolita
Diese Sorte zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur ihr Verhalten, sondern auch Outfit und Makeup eindeutig als quietschig zu bezeichnen sind, wodurch sie locker mit pubertierenden Teenagern mithalten kann. Die Reise erlaubt ihr, sich endlich einmal wieder ordentlich zurechtmachen, und dient gleichzeitig dazu, ihren Marktwert sowohl intern (innerhalb der Reisegruppe) als auch extern zu testen. Das Quietschige im Verhalten äußert sich in albernem, lautstarken Lachen und anderen Aufmerksamkeit heischenden Aktivitäten sowie frühzeitigem und übermäßigem Sektkonsum.
d) Der Ehemann der Lolita
Genervt vom Marktwert-Testen seiner Ehefrau sucht er so schnell wie möglich das Weite und gesellt sich zu seinen Geschlechtsgenossen, gern in Kombination mit einer Flasche Bier.
e) Die Möchtegern-Lolita
Diese Sorte versucht, der Lolita outfitmäßig nachzueifern, und scheitert. Ihr Bedauern darüber, auch nach dreißig Jahren immer noch im Schatten der Lolita zu stehen, ist ihr überdeutlich anzusehen. Sie flirtet gelegentlich mit Kategorie d), was dieser liebend gern erwidert, wodurch beide ihr angeknacktes Selbstbewusstsein zumindest ein Stückchen wieder aufbauen.
f) Das Mauerblümchen
Das Gegenteil der Lolita. Blass, mit nicht erkennbarer Frisur, nicht gemachten Nägeln und in nicht moderner Kleidung – bevorzugt in Rentner-Beige – zeichnet sich dieser Typ dadurch aus, überarbeitet und erschöpft dazusitzen und darüber nachzusinnen, dass ein Wochenende ohne Ehemann zu Hause auch gar nicht so schlecht gewesen wäre.
g) Der Techniker
Der Techniker verfügt stets über die neueste Technik in Sachen Mobilfunk und Fotografie und erläutert jedem, der es nicht wissen will, Funktionsweise und Vorteile seiner neuesten Errungenschaften. Des Weiteren fühlt er sich berufen, allen anderen bezüglich ihrer eigenen Geräte hineinzuquatschen.
Während man sich selbst quasi schon mit Betreten des Zuges nahezu automatisch ins WLAN des Zuges eingeloggt hat, ist es für den Techniker einen lautstarken Hinweis wert, dass es ja hier tatsächlich WLAN gebe. Man müsse nur hier und hier bestätigen und ein Häkchen setzen und dann wäre man schon drin. Guck mal, so! Nein, da!
Der Techniker ist nicht selten identisch mit dem Organisator – sh. a) –, wodurch sich der Nervfaktor potenziert.
Mit einem fetten Schokomuffin ausgestattet lasse ich die 50-plus-Reisegruppe 50-plus-Reisegrupppe sein und mache mich auf zu meinem Gleis. Dort steige ich in den Ruhezone-Wagen des ICE von Oldenburg Richtung München.
Kleine Erläuterung für alle, die nicht so oft Zug fahren: Die Ruhezone-Wagen in den ICEs zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Fahrgäste in diesen Bereichen möglichst ruhig verhalten und z.B. nicht telefonieren sollen. Bei grausam frühen Abfahrten reserviere ich grundsätzlich dort, weil es zumindest einige Reisende gibt, die das Konzept der Ruhezonen-Wagen verstanden haben und sich still und leise in ihr Buch, den Film auf ihrem Laptop oder auch die Innenansicht ihrer Augenlider vertiefen. Wobei letzteres das ist, was ich bei derart frühen Abfahrten für mich persönlich stets fest einplane.
Schon beim Betreten des Wagens wird mir klar: Das wird nichts, da eine Großfamilie (Großeltern, Eltern, Kinder) in den beiden Vierersitzen direkt vor mir Platz nimmt. Ab in die Tonne mit dir, du naive Vorstellung, mindestens bis Fulda noch ein kleines Nickerchen machen zu können. Man kann von Kindern nicht verlangen, dass sie ruhig sind, das ist mir absolut klar.
Die sehr mitteilungsfreudigen Eltern und Großeltern verbrüdern sich direkt mit dem älteren Ehepaar, das den rechten Vierer mit ihnen teilt, und man tauscht sich lautstark über den jeweiligen Reiseplan, die Meinung zum gestrigen Werderspiel und die wirtschaftliche Entwicklung Delmenhorsts aus.
Die Kinder malen währenddessen still und brav in ihrem Malbuch. Es sind also nicht die Kinder, die gegen die Ruhezonen-Wagen-Regeln verstoßen, sondern die Erwachsenen! Und von denen könnte man eigentlich erwarten, dass sie den Klebestreifen oberhalb der Fenster richtig deuten, der in verschiedenen Sprachen und idioten- bzw. analphabetensicher per Icon darauf hinweist, dass man sich in einer Ruhezone befindet. Schließlich entdeckt tatsächlich einer der Störenfriede den Ruhezonen-Wagen-Regeln-Erläuterungs-Klebestreifen, woraufhin sich die gesamte Gruppe lautstark darüber amüsiert, dass man sich in einer „Stiltezone“ (niederländisch für Ruhezone) befinde.
Ich verabschiede mich endgültig von meinem kleinen Nickerchen.
Wir (ja, auch ich, auch wenn es mich gar nicht interessiert) erfahren, dass die Großeltern-Eltern-Kinder-Kombo bis München mitfährt und dann noch mehrmals umsteigt und somit nach zehn Stunden irgendwann am späten Nachmittag ihr Ziel in Südbayern erreicht.
Exakt 30 Minuten, nachdem wir losgefahren sind, stellen die Kinder die „Wann sind wir da?“-Frage. Und das bei dieser exorbitant langen Reise. Ich liebe sie dafür, dass sie dieses Klischee so absolut zuverlässig erfüllen.
Die sind mir auf jeden Fall sympathisch.
Die restliche Zugfahrt verläuft ohne besondere Ereignisse, außer dass die Fußballfans, die mir während meiner einstündigen Umsteigepause in Nürnberg begegnen, alle Klischees erfüllen, die man sich landläufig so vorstellt.
Nach der Familienfeier fahre ich Sonntagnachmittag im Regionalexpress von Passau nach München weiter und vermisse sowohl das WLAN im Zug als auch die Kinder der Kinder-Eltern-Großeltern-Kombo, denn mir ist definitiv danach, dass mal jemand lautstark nachfragt, wann wir denn endlich da sind.
Bei Ankunft in Freising finde ich ohne Probleme den Bussteig für die Fahrt zum Flughafen und stelle erfreut fest, dass auf dem Papierfahrplan dieselbe Abfahrtszeit angezeigt wird wie im Internet – nicht in allen Ländern eine Selbstverständlichkeit. Der Bus taucht exakt 5 Minuten vor Abfahrt auf und fährt pünktlichst ab. In solchen Momenten – gerade, wenn man müde und erschöpft ist und einfach nur ins Bett möchte – liebe ich die Ordnung und Zuverlässigkeit deutscher Verkehrsbetriebe.
Im Novotel am Flughafen sind gerade und ungerade Zimmernummern in verschiedenen Bereichen der jeweiligen Etage untergebracht – zu den geraden Nummern geht’s links, zu den ungeraden nach rechts. Eingefleischte Carla-Fans wissen, warum mir diese Tatsache ein Lächeln aufs Gesicht zaubert – Stichwort Wiesbaden!!
Leider habe ich vergessen, mir einen funktionierenden Wecker mitzunehmen, sodass ich darauf angewiesen bin, dass mein Handy mich um 3:20h (ja: drei Uhr zwanzig morgens!! Horror!!!) weckt. Wie immer teste ich mehrfach, ob die Weckfunktion auch bei ausgeschaltetem Ton UND im Flugmodus funktioniert (jedem seine kleine Zwangsneurose, sage ich immer).
Trotz mehrfacher erfolgreicher Durchführung quält mich die Vorstellung, den Flieger in die Sonne aus irgendeinem Grund zu verschlafen und überlege, mich bei der Rezeption zu erkundigen, ob sie einen Weckservice haben. Da entdecke ich auf dem Festnetztelefon auf dem Nachttisch eine Taste mit Weckersymbol und beschließe, sie auszutesten. Cool, man kann dort per Tastatur die Weckzeit eingeben und wird dann angerufen! Ich mag das Novotel. Auch wenn ich mich nicht dran gewöhnen kann, dass die Toilette nicht im Bad ist, sondern separat. Wollen wir mal hoffen, dass ich nachts nicht schlaftrunken in die Badewanne ... na, Ihr wisst schon.
Nachdem ich die viel zu hell leuchtende Digitaluhr des Fernsehers mit der Speisekarte des Roomservice abgedeckt habe (geschickt!), falle ich todmüde ins Bett.
Buchstäblich mitten in der Nacht geht mein Handy und weckt mich.
Unnötig zu erwähnen, dass ich fünf Minuten später, als der Telefonwecker klingelt, auf der Toilette sitze (der Richtigen, nicht der Badewanne).
Der Bus zum Flughafen fährt um 3.56h. Ich überlege, ob ich so mutig sein soll, bis 3.54h in der Hotellobby zu warten, weil es immer noch ganz schön kalt ist, entscheide mich aber dagegen. Sehr weise Entscheidung, wie sich kurze Zeit später herausstellt, denn der Bus fährt ganze fünf Minuten zu früh ab.
Am Flughafen angekommen verdiene ich mir ein paar Pfadfinder-(Jeden Tag eine gute Tat!)Punkte, indem ich einem älteren Ehepaar bei der Selbstbedienungs-Gepäckaufgabe helfe (einscannen – Koffer aufs Gepäckband zum Wiegen – Klebestreifen aus dem Automaten nehmen und am Koffer anbringen). Ich überlege ernsthaft, auf die Aussage der Dame, damit vernichte man ja direkt wieder ein paar Arbeitsplätze, mit einer argumentativ ausgefeilten Abhandlung über die Auswirkungen der Digitalisierung zu reagieren, entscheide mich aber lieber dagegen.
Ich bin tatsächlich die Erste am Gate! Na toll, ich hätte ungefähr eine Stunde länger schlafen können.
Egal.
Die Sonne wartet.
Im Flieger sitze ich das erste Mal in meinem Leben in der ersten Reihe und frage mich, um wieviel dies die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, gegenüber einem Sitz am Notausgang erhöht.
Nachdem ich nun insgesamt schon 48 Stunden lang mehr oder weniger unterwegs bin, freue ich mich, dass ich nun endlich die letzte Etappe vor mir habe, und denke noch so bei mir: „Mensch, was soll da noch schiefgehen ... Den Weg vom Flughafen zum Apartment per Mietauto kenne ich im Schlaf!“
Hätte ich’s mal nicht so laut gedacht ...
Ich setze meine „Ich bin die Erste!“-Masche fort, indem ich als Erste am Gepäckband stehe und auf meinen Koffer warte.
Während ich warte, klingelt mein Handy mit einer ausländischen Nummer. Ich will gerade drangehen, als mir auffällt, dass „Pakistan“ unter der Nummer steht. Ich erinnere mich, neulich irgendwo gelesen zu haben, dass dies Betrugsanrufe sind, die Geld kosten, wenn man zurückruft. Ich gehe vorsichtshalber nicht dran.
Nachdem ich endlich mein Gepäck erhalten habe, mache ich mich mit Koffer, Handgepäckstasche, Handtasche, Winterstiefeln, Wintermantel, Schal und Pullover auf die Suche nach dem Shuttle, das mich laut Voucher zur Mietwagenfirma bringen soll. Ich halte draußen vor dem Flughafen nach den kleineren Bussen Ausschau, die üblicherweise diesen Shuttledienst übernehmen, finde aber keinen mit der Aufschrift „Autoclick“. Bevor ich hier ewig herumrenne, beschließe ich, bei Autoclick anzurufen.
Auf meinem Handy sehe ich, dass erneut die pakistanische Nummer bei mir angerufen hat. Mittlerweile steht – warum auch immer – aber „Santa Cruz de Tenerife“ darunter, was ich eindeutig unverdächtiger finde. Leider meldet sich niemand, als ich zurückrufe.
Ich rufe bei der Nummer der deutschen Vermittlungsagentur an, um zu fragen, wo ich denn nun hinmuss. Die Dame am anderen Ende der Leitung weiß es nicht, ich sollte bitte bei der Nummer anrufen, die auf meinem Voucher steht.
Gesagt, getan. Leider geht auch hier niemand dran.
Ich rufe erneut in Deutschland an und die Dame telefoniert für mich hin und her und nennt mir schließlich eine weitere Nummer. Da solle ich anrufen, dann käme jemand mit dem Shuttlebus. Ich weise darauf hin, dass es ja ganz nett gewesen wäre, wenn auf dem Voucher ein Hinweis wäre, dass das Shuttle nur auf Nachfrage kommt. Und die richtige Nummer dazu.
Ich rufe bei der neuen Nummer an und hier geht endlich jemand dran. Ich solle zum Supermarkt gehen, dort würde ich abgeholt. Ich stutze – ich würde behaupten, den Teneriffa-Flughafen ziemlich gut zu kennen, und dort ist definitiv kein Supermarkt. Ich frage noch einmal nach – doch, ich solle zum Meetingpoint draußen vor dem Supermarkt gehen, dort würde ich abgeholt.
Na gut.
Ich finde keinen Supermarkt. Auch die Flughafenangestellten, die ich frage, kennen keinen Supermarkt.
Genervt mache ich mich mit Koffer, Handgepäckstasche, Handtasche, Winterstiefeln, Wintermantel, Schal und Pullover auf den Weg zum Autovermietungs-Meetingpoint – das ist der einzige Meetingpoint, den ich finde.
Nachdem zehn Minuten vergangen sind und immer noch kein Autoclick-Shuttle in Sicht ist, rufe ich erneut bei der Nummer an.
Die Kollegin sei schon vor Ort, sie warte im Flughafengebäude beim Supermarkt auf mich. Ich erkläre, dass es keinen Supermarkt gebe. Doch, den gebe es. Wie er denn heiße, frage ich. Espada (oder so ähnlich), sagt der immer noch freundliche Herr am anderen Ende und es stört ihn auch nicht, dass ich drohe, den Mietvertag zu stornieren, wenn ich nicht innerhalb von fünf Minuten ENDLICH diesen dämlichen Supermarkt finde!!!
Ich schleiche also in der Mittagshitze mit Koffer, Handgepäckstasche, Handtasche, Winterstiefeln, Wintermantel, Schal und Pullover zurück ins Flughafengebäude und suche erneut den Supermarkt. Frage sogar bei der offiziellen Flughafeninformation nach. Nein, es gebe keinen Supermarkt. Auch keinen Espada-Supermarkt. Definitiv nicht.
Als ich gerade erneut den Typen anrufen will und fast explodiere vor Ärger, klingelt mein Handy – es ist erneut die Pakistan-Santa-Cruz-de-Tenerife-Nummer. Ich gehe dran. Firma Autoclick meldet sich, sie hätten bereits mehrfach versucht, mich zu erreichen, ich solle bitte ein Taxi nehmen und zu ihnen kommen. Jetzt explodiere ich wirklich und mache die gute Frau richtig fertig. Ihr Kollege habe mir doch GERADE EBEN erklärt, ich solle zum Espada-Supermarkt gehen, weil ich dort erwartet werde, und wo UM ALLES IN DER WELT denn dieser VERDAMMTE SUPERMARKT wäre.
Die Dame versteht kein Wort – sie rufe von Firma Autoclick an, es gehe um meinen Mietwagen. Ja, natürlich, aber was ist jetzt mit dem Espada-Supermarkt?!?, rufe ich und ignoriere die anderen Touristen im Flughafengebäude, deren halb verängstigte, halb irritierte Blicke mir folgen, während ich wütend Richtung Ausgang stiefele. In Winterstiefeln, mit Koffer, Handgepäckstasche, Handtasche, Wintermantel, Schal und Pullover. Er, also ihr Kollege, habe mir doch GERADE EBEN noch gesagt, ich würde beim Supermarkt erwartet!
Die Dame von Autoclick erklärt mir, sie sei alleine mit einer Kollegin, einer weiblichen Kollegin, und es gebe hier keinen „he“, also keinen „er“, von dem ich die ganze Zeit spräche. Und ich möge nun bitte ein Taxi nehmen und herkommen. Sie würden die Kosten übernehmen.
Nachdem ich erneut meinen Ärger ins Handy entladen habe, lege ich auf und wähle direkt wieder die Nummer der Agentur in Deutschland. Dort versteht auch kein Mensch die Sache mit dem Espada-Supermarkt und auch nicht, warum ich denn nun ein Taxi nehmen soll. Man garantiere mir aber, die Kosten zu übernehmen, falls die Vermietung es nicht tue.
Ich stürme mit Koffer, Handgepäckstasche, Handtasche, Winterstiefeln, Wintermantel, Schal und Pullover zum Taxistand und halte dem Taxifahrer erschöpft den Voucher entgegen, auf dem die Adresse der Autovermietung verzeichnet ist. Er nimmt mir die Unterlage ab und geht seine Kollegen fragen, wo das genau ist.
Dann fahren wir los. Kilometer um Kilometer. Ganz schön weit. Wir sind ja schon fast in meinem Urlaubsort – irgendwie komisch.
Nicht irgendwie komisch.
Sondern sehr komisch.
Total unlogisch, dass die Autovermietung so weit weg vom Flughafen ist.
Ich hole mein Handy heraus und googele die Adresse der Autovermietung. Sie liegt 15 km hinter uns. Also dort, von wo wir kommen.
Ich frage den Taxifahrer, ob er sicher sei, dass dies der richtige Weg ist.
Ja, er sei sicher.
Ich lese die Adresse vor, woraufhin mich ein erschrockener Blick von der Seite trifft. Er hat nicht die Adresse gelesen, sondern nur das „Tenerife Sur“ (Teneriffa Süd), das unter der Adresse stand. Und es als Hotelnamen „Tenerife Sur“ interpretiert. Und zum Hotel Tenerife Sur fahren wir nun.
Spätestens jetzt ist klar, dass nicht einmal ich mir so eine Geschichte ausdenken könnte!!!
Wir kehren um und ich weise freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass ich die mittlerweile auf 20 Euro angestiegene Taxameter-Rechnung nicht bezahlen würde.
Der Taxifahrer stellt das Taxameter aus.
Mein Handy klingelt. Meine AirBnB-Vermieterin ist dran. Wo ich denn bliebe? Ich erkläre, dass es ein kleines Problem (die Untertreibung des Jahrhunderts!) mit meinem Mietauto gegeben hätte und ich mich melden würde, sobald ich das Auto erhalten hätte (so war es übrigens auch vereinbart).
Zwei Stunden nach Ankunft am Flughafen erreiche ich schließlich die Autovermietung Autoclick und drücke dem Taxifahrer zehn Euro in die Hand, was ich bei einer eigentlichen Entfernung von gerade einmal fünf Kilometern für recht großzügig halte. Er erwidert, es seien aber zwölf Euro. Ich gebe ihm vierzehn. Er kann ja schließlich nichts dafür, dass mich das Schicksal heute dermaßen auf dem Kieker hat.
In der Autovermietung warte ich eine weitere Viertelstunde und fordere nach Vertragsabwicklung mein Taxigeld ein. Ob ich einen Beleg hätte. Nein, hätte ich nicht. Wir seien schließlich in die völlig falsche Richtung gefahren und das Taxameter sei deshalb ausgeschaltet worden. Hat eigentlich nichts mit dem Beleg zu tun, aber die Dame schluckt die Erklärung und händigt mir das Geld ohne Murren aus.
Ich rufe die Wohnungsvermieterin an und verspreche, mich zu beeilen. Sie muss nämlich ihr Kind beaufsichtigen.
Ich gebe die Adresse in meinem Handy ein – Navi gibt’s nicht – und wundere mich, dass eine Strecke von 40 min. angezeigt wird. Es sind doch höchstens 20! Ah, da sind mehrere Strecken zur Auswahl. Ich wähle die schnellste und sause los. Und wundere mich, dass wir hoch in die Berge fahren, obwohl ich doch zur Autobahn müsste. Ich werfe einen Blick auf die Ankunftszeit – in 40 Minuten soll ich da sein! Verdammt, anscheinend habe ich mich verklickt! Ich halte an, wende und wähle (nochmals!) die schnellste Strecke. Nehme eine falsche Abbiegung und kurve minutenlang durch ein Industriegebiet mit lauter Einbahnstraßen. Finde endlich einen Schleichweg (bzw. missachte einfach eine Einbahnstraße) und flitze auf die Autobahn.
Da mein doofes Handy die Hausnummer nicht kennt, halte ich nach Ankunft in der richtigen Straße nach der 30 Ausschau. Leider hat kein einziges Haus bzw. Hotel eine Hausnummer.
Ich halte erschöpft an und rufe die Vermieterin ein weiteres Mal an.
Sie kommt auf die glorreiche Idee, mir ihren Standort per Handy zu schicken und fünf Minuten später bin ich endlich am Ziel.
Unglaublich.
Endlich.
Sonne.
Strand.
Meer.
Ruhe.
Entspannung.
Ich hab’s mir verdient. Glaube ich.
Falsch.
Weiß ich.